Digital für Sozial
In seinem jüngst erschienen Beitrag “Digital für Sozial” beschreibt Mag. Peter Rosegger, MBA, Leiter des Wirkfelds “lernen&leben”, dass sinnvolle Entwicklungen in Technologie und Digitalisierung einen humanistischen Fußabdruck brauchen.
„Vertrauen in Technologie“ war nicht nur ein Diskussionsthema beim diesjährigen Pfingstdialog „Geist&Gegenwart“, sondern auch ein grundlegendes Paradigma der 1960er. Herausragend dafür steht die Ankündigung Präsident John F. Kennedys vor Mitgliedern des US-Kongresses im Jahr 1961, bis zum Ende eben jenes Jahrzehnts einen Menschen auf den Mond und wieder sicher zur Erde zurück zu bringen. Als Neil Armstrong vor nunmehr 50 Jahren als erster Mensch den Mond betrat, seine ikonenhaften Worte sprach, und die Bilder der Apollo 11-Mission um die Welt gingen, wurde diese Vision Realität. Mut, Teamwork und Multiprofessionalität waren dabei die Erfolgsfaktoren.
In seiner Relecture der Mondladung in der Tageszeitung „Der Standard“ im Juli 2019 hat Oliver Gassmann, Professor für Technologie- und Innovationsmanagement an der Universität St. Gallen, unter dem Leitwort „Wo sind Mut und Vision heute?“ auf die Sinnspitze dieser Mammutleistung der Moderne hinweisend gesagt: „Niemand hätte damals ernsthaft gedacht, dass kommerzielle Anwendungen herauskommen würden. Niemand machte sich Gedanken über die Teflon-Technologie oder kommerzielle Raumflüge. Es gab keine Marktanalyse, kein Geschäftsmodell, kein ernsthaftes Geschäftsszenario, keine wirtschaftliche Finanzrechnung; niemand errechnete den Kapitalwert eines solchen Projekts in einer Exceldatei oder prognostizierte eine Rentabilität.“
Oliver Gassmann resümiert seine Ausführungen mit der scheinbar einfachen, aber oft verdrängten These: „Große Innovationen werden von einer Vision angetrieben, nicht vom Ziel, kurz viel Geld zu verdienen.“ In einer Zeit, in der Mutlosigkeit oft im Gewand der Verantwortung und Ideenlosigkeit oft in jenem der Stabilität erscheint, ist das jedoch keine kleine Zumutung. Keine Schritte für einen Menschen erscheinen dabei wie ein großer Sprung für die Menschheit. Gassmanns Reflexion korrespondiert demgegenüber mit Kennedys Analyse einer substantiellen Relationalität von Innovation, Technologie und Humanität in Hinblick auf das Gemeinwohl, die er 1962 in seiner Ansprache an der Rice University in Texas postuliert hat: “We set sail on this new sea because there is new knowledge to be gained, and new rights to be won, and they must be won and used for the progress of all people. For space science, like … all technology, has no conscience of its own. Whether it will become a force for good or ill depends on man”.
Vertrauen in Technologie und besonders auch in die Chancen der Digitalisierung ist somit kein Selbstzweck, sondern stets unter dem normativen Prätext der Vertiefung von Humanität und Gemeinwohl zu sehen. Vertrauen in den Menschen ist also die Voraussetzung für Vertrauen in die von ihm entwickelte Technologie. Strategisches Management in Kirche, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft steht in diesem Zusammenhang heute vor der Herausforderung, eine solche Relationalität von Innovation, Technologie und Humanität mutig und zukunftsorientiert auszuformen. Es geht darum, analoge und digitale Paradoxien zu erkennen, Partizipation bei ihrer Bewältigung zu ermöglichen, und entsprechende integrative Lösungen zu finden.
Der amerikanische Soziologe Eric Klinenberg hat in seinem 2018 erschienenen Buch „Palaces for the People“ diese notwendige Verbindung einer abstrakten gesellschaftlichen Vision mit erlebbaren Orten der Partizipation und der Integration gerade in Zeiten einer zunehmenden Digitalisierung zum Ausdruck gebracht. “In a world where we spend even more of our time starring at screens, blocking out even our most intimate and proximate human contacts, public institutions with open-door policies compel us to pay close attention to people nearby. … Spending time in public social infrastructures requires learning to deal with these differences in an civil manner.”
Das europäische Projekt, das heute besonders durch Tendenzen zu Isolationismus, Populismus und Resignation herausgefordert ist, bedarf als Remedium zu seiner nachhaltigen Vitalität besonders einer solchen verbindenden sozialen Infrastruktur. Diese Struktur, die nicht nur technologische oder architektonische, sondern besonders auch soziale Faktoren berücksichtigt, trägt maßgeblich zu einer humanistischen und ökonomischen Prosperität im globalen Kontext bei. In den Worten Eric Klinenbergs: “Robust social infrastructure doesn´t just protect our democracy; it contributes in economic growth.” Sinnvolle Entwicklungen in Technologie und Digitalisierung brauchen daher einen humanistischen Fußabdruck, um die demokratische Gesellschaft zu stärken und das Projekt Europa auch in Hinkunft zu fördern. Jede kleine Initiative und jede Mission zum Mars werden nur dann nachhaltig sein, wenn sie das berücksichtigen.
Der Text ist in “Das digitale Europa – Digital Europe”, herausgegeben von Herwig Hösele und Lojze Wieser, in der Edition “Geist&Gegenwart” im Herbst 2019 im Wieser-Verlag erschienen.